27.8.09, 19.35 Uhr, Manakamana Hotel, Birendranagar, Surkhet, Nepal
Und hier noch ein längerer Nachtrag zum heutigen Tag.
Frustrierend. Jetzt habe ich mich wie der Schneekönig über meinen wlan-Zugang im Trainingsraum der Wirtschaftskammer gefreut und muss feststellen, dass ich zwar Emails abrufen kann, aber keine abschicken kann. Das heißt, ich muss jede einzelne Email die ich abends zuvor schreibe, einzeln online in eine Email von web.de reinkopieren, bevor ich sie versenden kann. Da es natürlich jedes Mal bis zu einer Minute dauert, bis das nächste Fenster aufgebaut ist, könnt ihr euch vorstellen, wie ich ungeduldig mit brennenden Nägeln vor meinem Laptop sitze. Schließlich habe ich ja ein Training zu geben und in den Pausen nur wenig Zeit. Eben frustierend. Da heißt es Prioritäten setzen. Und dieser Blog ist eine.
Heute hatte ich hier meine erste Begegnung mit einer Bettlerin. Und das ausgerechnet, als ich mit Binod eine Diskussion über die Ausblendfähigkeit der Nepali (und ich glaube aller sehr armen Menschen) führte. Meine Erklärung, weshalb die Toiletten so elend versaut sind, der Müll in den Straßen verrottet, die meisten Häuser einen heruntergekommenen Eindruck machen, unser Tagungsraum anfangs so aussah, wie er aussah, besteht darin, dass die Menschen hier den Müll und das Elend ausblenden und sich deshalb auch nicht ernsthaft daran stören aber auch deshalb nichts daran ändern.
Sie sind nicht zu faul, oder zu nachlässig, sie sind nur effizient und haushalten mit ihren Möglichkeiten. Muss ich ja auch, z.B.: mit der Bettlerin von eben.
Ich weiß nicht, ob ich mich angemessen verhalten habe, aber Ingo zog gleich sein Portemonaie und ich sagte, „Ich habe einen 2-Rupien-Schein.“ Worauf hin er meinte, „den habe ich auch“ und ihn ihr in die Hand drückte. Nun sind 2 Rupien auch für einen Nepali wenig – etwa 2 Cent, so dass die Bettlerin Ingo den 2-Rupien-Schein wieder in die Hand drückte und weiterbettelte und uns nachlief. Ich habe daraufhin meinen eigenen 2-Rupien-Schein natürlich gar nicht erst ausgepackt und lief, sie ignorierend und die Diskussion weiterführend, mit Binod weiter.
Es bedrückt mich, jemanden zu ignorieren. Ich mag es nicht, ich habe mir eigens einen Job zugelegt, wo es im Gegenteil um Aufmerksamkeit und Zuwendung geht. Und ich merke, in der Auseinandersetzung, bzw. eben Nicht-Auseinandersetzung mit dieser Bettlerin, was für ein dekadentes Geschöpf ich bin. Ich denke, ich bin hier verkehrt und werde meinen Job wohl besser in Deutschland weiterführen. Natürlich bringe ich diesen hier anständig zu Ende, aber ich werde wohl demütiger sein und vorsichtiger sein mit dem, was ich den Leuten hier abverlange.
Apropos abverlangen. Der erste Tag des BUS2-Trainings ging zum großen Teil damit hin, Tuchfühlung aufzunehmen und den BUS1 wiederholen zu lassen, denn am Ende – und das ist den Teilnehmern noch nicht bewusst – wird es ja wieder richtige Trainees für unsere Teilnehmer geben. Am Sonntag vor der Simulation werden wir wieder die Gretchen-Frage stellen: Wollt ihr wirklich BUS-Trainer werden?
Am Ende des ersten Tages gab es dann noch das erste Modul von BUS2: „Marktorientierung“, das leidlich verstanden wurde. Verständnis ist das Hauptproblem in dieser Gruppe. Nicht so sehr von der Intelligenz her, obwohl es hier auch viele Logikprobleme gibt, sondern vor allem der Sprache wegen.
Wir haben heute noch das aus der Sicht der Teilnehmer eher schwierige Thema „Portfolio-Analyse“ behandelt und danach eine Simulation der Teilnehmer in Kleingruppen laufen lassen. In der Besprechung nach der Simulation, hat es eine Teilnehmerin dankenswerterweise gewagt, zu gestehen, dass sie nicht weiß, was ein Portfolio ist. Ich griff den Hinweis gleich auf und fragte, was sie gebraucht hätte, um das Konzept zu verstehen und ihre Antwort war, dass sie ein anderes Wort gebraucht hätte. Wir haben uns dann den Begriff „einkommensgenerierende Aktivitäten“ aus dem CEFE-Training geliehen. (Zur Erinnerung CEFE ist ein 20 Jahre altes, eher wissenschaftlich-technisches Konzept zur Erstellung eines BUSiness-Plans, das zusammen mit BUS1 und BUS2 vermittelt wird.) Deshalb ist mir der Begriff auch nicht so lieb, BUS sollte lieber bei seiner eigenen Terminologie bleiben. Es ist eine Frage der Identität. Solange noch nicht feststeht, wie BUS und CEFE zusammen wirken sollen, bleibt jeder besser bei seinen Leisten.
Daran anschließend natürlich die Frage, wie wir sicherstellen können, dass die Inhalte auch tatsächlich verstanden werden. Die Antwort darauf blieben uns die Teilnehmer schuldig. Ich machte noch einmal klar, dass es Anstrengung von beiden Seiten bedarf, dass wir in dieser Hinsicht deutliche Fortschritte machen wollen. Commitment ist gefragt. Da wehte schon ein wenig ein mentaler Wind durch die Köpfe, aber ich glaube, sie sind einverstanden mit dem sich mehr Einbringen. Einstweilen schlug ich vor, dass es nicht nur einen Pausenwächter gibt, der uns bisher immer mit einem gelben Zettel die Pausen angezeigt hat, sondern auch einen Übersetzungswächter, der uns die grüne Karte zeigt, wenn es was zu übersetzen gibt. Generell habe ich noch keine gute Lösung für die ausgesprochene Abstraktionsschwäche der Teilnehmer. Schon einfache Spiele, wie das Clowns-123 werden nicht erfasst. Die mentale Schwerfälligkeit der Teilnehmer, wenn es um Logik oder Abstraktionen geht, verleitet mich natürlich nicht dazu, diese Menschen für dumm zu halten. Ich habe bloß meine liebe Not, die Zusammenhänge so darzustellen, dass sie wenig Logik brauchen. Ich arbeite dran.
Morgen gibt es, da Freitag Wochenende ist und nur ein halber Tag zur Verfügung steht, nur Input, ohne Simulation, die folgt, wie gesagt am Sonntag. Die „Umfeldanalyse“, die „Lobrede auf sich selbst aus zukünftiger Sicht“ (dem eigenen Rentenalter – oh weh, das wird schwierig zu erklären sein) und die „Entwicklung einer persönlichen Vision“ stehen auf dem Plan. Ich bin super gespannt, wie wir das Übersetzen mit unserem doch recht straffen Programm unter einen Hut bekommen.
Unter den 17 Teilnehmern sind zwei Sonderfälle: einmal der Chef der hiesigen Wirtschaftskammer, der mir auf Anfrage zwar beteuert hat, er wolle das BUS-Zertifikat haben und ich darauf erwiderte, dass ich ihn dann als normalen Teilnehmer behandeln würde und ihn darum bat, seine organisationsbedingten, häufigen kleinen Fluchten ins Büro nebenan in die Pausen zu verlegen. Da hielt er sich aber nicht dran. Nun, dann überlege ich mir, ob ich ihm morgen eröffne, dass er gerne als Beobachter weiter am Training teilnehmen kann, aber dass ich eher davon ausgehe, dass er es doch nicht so wichtig findet, BUS-Trainer zu werden.
Der zweite Fall ist noch verzwickter. Dieser Teilnehmer ist Employment-Koordinator der zentralen nationalen Wirtschaftskammer in Kathmandu. Auf meine Frage, in welcher Funktion er hier sei, versicherte auch er mir ebenfalls, BUS-Trainer werden zu wollen. Er ist auch mit mehr Feuer bei der Sache, aber bei ihm ist der Haken, dass er auch CEFE-Trainer ist und es leicht sein kann, dass er eine Art Spion ist, um Konzepte aus BUS ins CEFE-Training einzubauen und so die längst überfällige Revision des 20 Jahre alten CEFE-Trainings einzuleiten. Gelänge das, wäre BUS in Nepal überflüssig und alle, die ihr Herz daran gehängt haben, allen voran Binod, der davon träumt BUS-Koordinator für ganz Nepal zu werden. Da Binod aber auch davon träumt, eine eigene NGO zu gründen, die das Know-How pensionierter Deutscher für Nepal zugänglich zu machen, dürfte es für ihn zu verschmerzen sein, wenn der BUS-Traum für ihn platzt.
Bedenklich ist allerdings, dass BUS zwar inhaltlich eine gute Ergänzung für CEFE ist, aber die grundsätzliche Haltung ist eine ganz andere. Ohne die Fokussierung auf den Menschen im ganzen Geschäft und ohne die ganzen neuen erwachsenengerechten Methoden ist BUS recht flach und binnen kurzem würde innerhalb des CEFE-Tranings von BUS kaum mehr als ein paar Schlagworte übrig bleiben. Die ganzheitliche Denkhaltung ist es aber gerade, was den Charme aber auch die Wirksamkeit des BUS-Konzepes ausmacht.
Diese Überlegungen sind natürlich alle müßig, weil ich einmal nur wenig zu sagen habe in diesem Spiel, wo es um Entwicklungshilfe-Millionen geht, zum anderen, weil ich viele Aspekte des Geflechtes gar nicht durchschaue. Also genug davon. Wir haben uns heute Abend die Köpfe darüber heiß geredet, wobei Ingo meint, ich mache Binod zuviel Hoffnung, wenn ich ihn ermutige, darüber nachzudenken, was es braucht, um BUS-Koordinator von Nepal zu werden.
Nach einigen Sonnentagen hat uns soeben der Nachtregen eingeholt. Wenigstens wird es abkühlen, aber morgen wird bei 100% Luftfeuchtigkeit vor sich hingeschwitzt. Überhaupt ist mein Hemd ein paar Mal am Tag nass und trocknet mir wieder am Leibe. Ich beachte es nicht weiter. Die Ventilatoren im Tagungsraum hatten mich erst befürchten lassen, dass der leichte Husten, den ich von Tansen mit gebracht habe, sich zu einer richtigen Erkältung auswächst und ich habe meinen Körper mit Vitamin C voll geschüttet und Sinuprettropfen gegurgelt, und tatsächlich bin ich heute wieder vollkommen gesund. Feine Sache. Dreimal auf Holz geklopft, dass das so bleibt.
Heute gab’s tatsächlich die Müllabfuhr. Kleine Dreirad-Fahrräder mit Ladefläche sammeln im Auftrag des Kontraktors den Müll, der dann auf einen großen LKW verladen wird. Die Müllabfuhr ist privat organisiert und wird von den Ladeninhabern und Hausbesitzern selber bezahlt.
Was hier wie viel wert ist, habe ich immer noch nicht heraus, wie man heute bei den Verhandlungen über das Wäschewaschen merkte. Im Letzten Hotel zahlte ich für 12 Teile 130 Rupien, was wahrscheinlich recht teuer ist, weil es über das Hotel organisiert wurde. Hier ist es eine Verhandlungssache, wie viel ich dem Waschboy gebe. Ich hatte 2 Haufen á 6 bzw. 16 Teile zum Waschen gegeben. Der Waschboy sprach von 50, 100, oder 200 Rupien für die Wäsche. Ich habe ihm für den 6er-Haufen jetzt mal 50 Rupien gegeben, was ihr sichtlich enttäuscht hat. Auch der Versuch, den anderen Hotelboy zum Übersetzen zu holen, endete damit, dass sie mir die feuchte restliche Wäsche brachten. Ich konnte sie dann wenigstens überreden, sie zum Trocknen und Bügeln wieder mitzunehmen.
Ihr seht, mir muss es echt zu gut gehen, damit ich mich mit solchen Kleinigkeiten rumschlage, dabei geht es doch um 50 Cent, einen oder zwei Euro. Ingo hat da ein eindeutig besseres und sichereres Händchen. Na, für irgendwas müssen 30 Jahre Erfahrungen in Entwicklungsländern ja gut sein.
Und ich lass’ es jetzt gut sein. Liebe Grüße und Gute Nacht.