Teamentwicklung in Persien
Wenn einer eine Reise tut – Ein Rückblick ins letzte Jahr
Wie üblich spielen uns unsre Vorurteile und Klischees einen Streich, wenn wir an den Iran als Terrorgebiet denken. Mehrfach bekam ich besorgte Blicke und Bemerkungen, wenn ich von meinem Vorhaben sprach, in Teheran eine Teamentwicklung durchzuführen. Aber ich dachte mir leichtköpfig, auch in Krisengebieten leben die Menschen. Es wird mir schon nichts passieren.
Doch immer, wenn ich auf dieser Reise überrascht war, ist das Vorurteil – erkennbar am (!) – einen schnellen Tod gestorben. Und ich war nicht halb so oft überrascht, wie vermutet. Teheran ist eher eine moderne, südländische Stadt, wie die Fotos zeigen, etwas bröckelig an den Rändern, aber erstaunlich normal. Die Leute arrangieren sich mit den Gegebenheiten (Mullahs, Rechtsprechung, etc.), wie bei uns eben auch und sind – welch ein Wunder – bei näherem Hinsehen einfach Menschen.
Das Abendessen mit dem ganzen Team (7 Leute) ließ meine Befürchtungen schnell dahin schmelzen. Wir kamen einander vorsichtig näher bei freundlich-höflicher Konversation auf Englisch bei gutem Essen und guter einheimischer und türkischer (!) Livemusik in einem Restaurant, wo die Einrichtung üppig orientalisch ist. Auf den Tischen stehen Fähnchen der Länder, aus denen die jeweiligen Gäste stammen. Der Sänger hat uns später am Abend von der Bühne aus auf Deutsch begrüßt (und die Dänen auf Dänisch, etc.) und uns sogar ein deutsches Liebeslied geträllert, um dann wieder auf persisch loszuschmachten.
So hat es mich denn auch nicht mehr sehr verwundert, wenn ein Teammitglied Türke ist und einer der Iraner 10 Jahre in den USA studiert hat. Aber dass ich bei einem Juden (!) handgemalte Fliesen mit hebräischer Inschrift neben klassischen altpersischen Themen gefunden habe, lässt die herkömmliche Grenzziehung zwischen Freund und Feind im Staub seines Antiquitätenladens trüb werden.
Auch wer die karge Schönheit der umliegenden Berge nicht zu schätzen weiß, muss nur den Blick etwas höher heben, um direkt hinter der Stadt grandiose schneebedeckte Fünftausender leuchten zu sehen.
Ich bin zuversichtlich, was die Teamentwicklung morgen anlangt. Ich gehe davon aus, dass Teilnehmer zwar absolut keine Vorstellung davon haben, was sich hinter Progrrammpunkten wie „Flussüberquerung“ verbergen mag, denn alle Bilder, die sie damit in Zusammenhang bringen, passen einfach nicht in ihre Vorstellung von „Business“.
Aber sie beginnen zu fühlen, dass ich bereit bin, sie anzunehmen, wie sie sind und dass ich von einer lustigen Leichtigkeit bin, die sie nicht bedroht. Den Rest wird das vielfach geprüfte und durch dutzende Anwendungen optimierte Programm leisten.
Der Tag der Ankunft nach einem angenehmen, luxuriösen Flug in der Lufthansa Business Class war angefüllt mit bekannten und doch wieder nur ähnlichen Eindrücken. Das meiste habe ich schon mal gesehen, gehört, gefühlt. Durch die kahlen Berge zu wandern, ist so ähnlich, wie eine Wanderung oberhalb der Baumgrenze in den Alpen. Der marmorne, etwas fadenscheinige Look der Hochhäuser ist so ähnlich wie im Geschäftsviertel einer spanischen Stadt. Der chaotische, schiebende und drängelnde Verkehr so ähnlich wie in Neapel zur Hauptverkehrszeit. Das Gewusel der Leute im Basar ist so ähnlich, wie das Geschiebe auf dem Türkenmarkt am Maybachufer in Berlin. Die Freundlichkeit der Leute so ähnlich, wie in San Francisco, Haight Street Ecke Ashbury. Der Wissensdurst und die respektvolle Neugier so ähnlich, wie zu Beginn einer Selbsterfahrungsgruppe in Köln. Die Toleranz und Weltoffenheit ist so ähnlich die der Bewohner jeder Großstadt auf der ganzen Welt (Teheran hat 14 Mio. Einwohner) Der Stolz auf eine ruhmreiche Vergangenheit ist so ähnlich wie das unaufdringliche Understatement der Londoner. …ist so ähnlich, wie… ist so ähnlich, wie… ist so ähnlich, wie… es gibt viele Anknüpfungspunkte.
Die Unterschiede sind freilich ebenso spürbar und unübersehbar, doch nur für das abgrenzende Auge störend, allem voran die Kopftücher der Frauen (ist Gesetz), das Alkoholverbot für die Öffentlichkeit, die knallbunten wohlfrequenquentieren Fitnessgeräte im Park. Die porzellanenen Löcher in den öffentlichen Toiletten mit einem Wasserschlauch an der Seite und nirgendwo Toilettenpapier. (Da freut man sich, dass man nur ein kleines Geschäft zu erledigen hat.) Der Gegensatz zwizwischen blendend reichem Glanz und staubig-matter Armut.
Die Teilnehmer wollen nicht recht in meine Klischees passen, die da lauten: Frauen darf man nicht von weitem ansehen, geschweige denn anfassen, so dass alle Übungen mit Körperkontakt out sind. Alle Männer ersticken bald an ihrem Ehrgefühl, das so leicht zu beschädigen ist, wie der Flügel eines Schmetterlings. Alle Perser leben zwei absolut getrennte Leben eins zu Hause hinter Mauern und ein öffentliches, wo verschiedene Dinge völlig unmöglich sind, und zu dieser Öffentlichkeit gehört der Job. Also keine Vertraulichkeiten irgendwelcher Art. Ausflippen und sich gegenseitig an die Gurgel gehen, geht natürlich – für Männer.
Ich habe aber nach dem Business Dinner am Abend zuvor nicht das Gefühl, besonders vorsichtig sein zu müssen und bei mir stellt sich Zuversicht ein. Hat natürlich zur Folge, dass ich in so manches der überall aufgestellten Fettnäpfchen tapse. Die meisten habe ich gar nicht bemerkt. Von einem groben habe ich erst im Nachhinein erfahren: Das Daumen-hoch-Zeichen gilt – wie hier zulande der gestreckte Mittelfinger, wohl als vulgär. Jetzt verstehe ich auch die verwirrten Gesichter beim Abschlussritual.
Und so beginnt am Folgetag die integrierte Teamentwicklung/Moderation, natürlich nicht ohne kleinen Kampf mit den widrigen Gegebenheiten. Der Raum ist mit dicken Vorhängen verrammelt und wir entscheiden, der iranischen Neigung zur Privatsphäre zuliebe, sie so verrammelt zu lassen. Der Raum ist lang und schmal. Wir nutzen die Hälfte hinten am Fenster. Stuhlkreis, die schweren Tisch kommen raus. Alles kein Problem. Wie gut, dass ich am Vortag angereist bin und den Raum vorbereiten (lassen) kann.
Kein Flipchart, keine Pinwände, aber doch immerhin ein, nein sogar zwei Whiteboards, eins mit Klemmen, damit ich notdürftig meine Flipcharts dranklemmen kann (rutscht natürlich). Kein Moderationskoffer, aber ich habe meinen Zauberkoffer ja dabei. Der Auftraggeber verspricht, seinen Flipchartständer mitzubringen – vergessen. Na, da muss der Fahrer halt wieder los. Der Ständer kommt später. Pinwände sind versprochen, was kommt sind kleinere Exemplare, die eigentlich für die Wand gedacht sind. Die werden mit Draht auf ein Gestell gebunden und mit breitem Tesaband geklebt. Sieht ganz passabel aus. Für die Kartenabfrage und das Clustering wird’s reichen. Alles harmlose Widrigkeiten, die meine Lust zu improvisieren eher entfachen. Diese Rahmenbedingungen werden in den Hintergrund treten, wenn wir erst einmal losgelegt haben.
Meine vorgedruckten Plakate pflastern die Wand, die bunten Jongliertücher liegen umrahmt von Koosh-Bällen anmutig drapiert in der Mitte des Stuhlhalb-kreises, und erzeugen zu dem Dutzend Fragezeichen in den Köpfen der Teilnehmer noch ein zusätzliches.
Die Atmosphäre in der Gruppe ist eher vorsichtig neugierig und durchaus nicht ablehnend. Es gibt überhaupt keinen Unterschied zu Anfangssituationen in Deutschland. Eine Frau ist dabei, die Sekretärin, die ein Wunder an Organisation auf allen Ebenen geleistet hat, um diese Veranstaltung zu ermöglichen und gelingen zu lassen.
Tag 1
Mein übliches Centering am Anfang – ich lese das Gedicht „Autobiography“ vor – kann die Zurückhaltung noch nicht brechen, steigert eher die Neugier. Aber schon bei der Anfangsübung Gleich und Gleich gesellt sich gern zeigt sich, dass die Gruppe sich Mühe gibt zu kooperieren. Hier lenke ich die Aufmerksamkeit auf die ungeschriebenen Gesetze die während dieser Veranstaltung herrschen:
• jeder ist wertvoll und wird respektvoll behandelt,
• Schubladendenken wird registriert und flexibilisiert,
• Eigenheiten und Schwächen werden auf den Sekundärgewinn abgeklopft,
• Ehre den Altgedienten,
• Offenheit ist gefahrlos und
• Selbsterkenntnis geht vor Fremdbe-bachtung
Das erste vorsichtige Lächeln stiehlt sich auf die Gesichter. Diese Menschen sind freundlich, soviel steht fest und bei aller Vorsicht doch eher gradlinig.
Nachdem die Ziele vorgestellt sind und das Programm erläutert ist folgt ein Namensspiel, Meteoritenschwarm, und aus dem Spiel heraus gleich die erste Teamentwicklungsübung. Zu diesem Zeitpunkt ist etwa eine Stunde vergangen und die Teilnehmer sind gebannt und fasziniert von den Schlüssen, die sie aufgrund einiger Fragen selbst aus der Übung ziehen. Die Suggestopädie entfaltet ihre Wirkung.
Nach der Pause ist der erste Moderationsschritt dran: Themensammlung und -bewertung. Diese Gruppe identifiziert fünf Themen, drei davon werden annähernd gleich hoch bewertet. Zwei davon werden später in Kleingruppen bearbeitet. Der Themenspeicher birgt keine Überraschungen. Solche Themen würde ich von einer Gruppe wie dieser erwarten.
Der Workshop gewinnt an Fahrt. Schon ist die nächste Teamübung, Walnusswandern, dran. Die Gruppe hat inzwischen Vertrauen in die Situation gefasst. Alle sind lebhaft beteiligt, die Fehlertoleranz steigt. Die Diskussion um Fehler führt zu bewussterem und respektvollerem Umgang mit einander. Auch die Stillen liefern die ersten Beiträge zur Diskussion.
Nach dem Mittag kommt das große Experiment: Die „Flussüberquerung“. Mitten in einer Großstadt findet man zwar einen Park, aber der ist natürlich gut frequentiert. Es gibt keine abgelegenen Stellen. Und die ruhige Stelle, die wir am Vortag ausgesucht haben, wird ausgerechnet heute von Laubbläsern belärmt. Also etwas abseits, wo sich ein Liebespaar von uns nicht von seinem Gespräch ablenken lässt.
Ich habe inzwischen gelernt, dass das mit der ziemlich strickten Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben stimmt. Und Beruf ist öffentlich und ein öffentlicher Park ist ebenso öffentlich. Werden sich die Teilnehmer auf die Balanciererei einlassen? Die Sekretärin hat tolle, massive Brettchen besorgt, die wir mit Begriffen aus den bisher erarbeiteten Teamqualitäten beschriftet haben.
Wie die meisten meiner Teilnehmer freut sich auch diese Gruppe auf die Aussicht, eine Zeitlang draußen zu sein. Und so machen wir uns auf den 20-minütigen Spaziergang zum Park, der natürlich nicht so einsam und verwaist ist, dass man keine Beobachter hätte. An unserem gestern ausgewählten Platz sind heute leider die Laubbläser unterwegs, also verlegen wir die Aktion etwas mehr an die Seite, wo die Wiese etwas abschüssig ist. Und dort stelle ich die Teamübung vor. Schnell wird klar, dass das Zögern der Sekretärin nicht etwa kulturellen Tabus entspringt, sondern dass sie denkt, sie sei nicht sportlich genug. Also macht sie mit.
Und schon ist die ganze Gruppe in tiefer Diskussion um die Lösungsfindung versunken. Ab und zu stelle ich einige Coaching-Fragen. Und nachdem sie anfänglich das Konzept des guten Fehlers praktisch erleben (und dabei eines der Brettchen verlieren), machen sie sich sehr strukturiert und schließlich erfolgreich an die Aufgabe. Auch hier folgt die Auswertung auf dem Fuße. Langsam verdichtet sich, was für dieses Team die entscheidenden Erfolgsfaktoren sind. Dass man sich gegenseitig unterstützt hat, dass jeder nach seinen Fähigkeiten eingesetzt wurde, dass man sich authentisch verhalten und entsprechend (unbewusst) wahrgenommen und danach eingeschätzt werden konnte, all dies zählt zu den Nebeneffekten, die die eigentliche Wirkung solcher Spiele und Übungen ausmachen.
Zurück im Seminarraum werden aus den vormittags gesammelten Themen zwei zur Bearbeitung ausgewählt und in zwei Arbeitsgruppen lösungsorientiert bearbeitet. Mit der Präsentation der Arbeitsergebnisse endet dieser für alle Beteiligten denkwürdige Tag. Natürlich nicht ohne die Integration, wo die Teilnehmer mit geschlossenen Augen durch den Tag geführt werden und nicht ohne ein kleines Abschiedsritual, Sternhändeschütteln.
Am Abend steht für die Gruppe nichts mehr für mich nur noch das Abendessen und die Sauna auf dem Programm.
Tag 2
Der nächste Morgen beginnt ruhig mit der Morgengeschichte gefolgt von der Morgenrunde, in der schnell klar wird, dass der Vortag als sehr inspirierend und zum Nachdenken anregend empfunden wurde. Das größte Problem bestand darin, Außenstehenden in der Familie zu erklären, was gestern im Seminar vorging.
Die Teilnehmer sind gelöst, fühlen sich wohl und haben Zutrauen zur Situation, zu den Methoden und zur Leitung entwickelt.
Nach der Meteoritenschwarmvariante folgt das Spiel Diversity, das die Teilnehmer als sehr wertvoll erleben, da es ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Stärken zu reflektieren und zu zeigen. Natürlich tut es gut, die Einschätzung der anderen zu hören, vor allem wenn es darum geht, die eigenen Stärken gespiegelt zu bekommen. Es ist wie ein Geschenk und die Psychologie kennt den Effekt, dass der Schenker besser vom Beschenkten denkt, wenn er ihm ein Geschenk gemacht hat. Das hält aber auch die Empfänger der Karten nicht davon ab, erfreut aufzuleuchten beim Durchsehen der Karten.
Vor dem Mittag arbeiten die Teilnehmer an der Konkretisierung der gestern erarbeiteten Ergebnisse. Das Mittagessen gibt Gelegenheit, nicht nur das schmackhafte iranische Essen wie z.B. „Fesenjun“ (Hühnchen in Walnusssoße) zu verdauen, sondern auch die vielfältigen Informationen. Nach dem Mittag gibt es einen Themenspaziergang: „Wie machen sich die bei „Diversity“ ausgewählten und zugeordneten Stärken im Arbeitsalltag bemerkbar?“ Es kommen Paare zusammen, die bisher nichts oder wenig miteinander zu tun hatten oder sich nicht kennen.
Nach der Rückkehr wird aus den erarbeiteten Ergebnissen der Tätigkeitskatalog auf der Pinwand zusammengestellt. Wer macht was bis wann lautet die Frage, deren Antworten schriftlich fixiert werden.
Die Anerkennungsrunde ist hier ebenso wichtig wie in allen anderen Teams, die ich hatte, den Persern scheint Lob ebenso schwer zu fallen, wie uns. Überhaupt entdecke ich einige Parallelen zwischen deutschen Teams und diesem hier. Ist vielleicht ein wenig meiner Blickrichtung in solchen Veranstaltungen auf allgemein menschliche Bedürfnisse und deren Befriedigung geschuldet.
Den Abschluss bilden wieder die Integration, ein Blitzlicht, und als Abschiedsritual, das peinliche Daumendrücken, das ich oben schon erwähnte.
War der erste Tag schnell vorbei, so rauschte der zweite wie ein Schnellzug vorbei. Kaleidoskopartig purzeln die Bilder durch den Kopf. Zu der fröhlichen Stimmung gesellt sich das erhebende Gefühl etwas geschafft zu haben. Jetzt habe ich noch einen langen Abend bis zum Abflug, den ich wie tags zu-vor zur Regeneration nutze. Noch ein Gang in die Sauna, ein leichtes Abendessen, und der Abend auf dem Bett der Suite, deren Großzügigkeit ich genieße, den Laptop im Schoß mache ich mich gleich daran, die Nachbereitung, Fotoprotokoll, Fotos, Geschichten, Unterlagen zusammen zu stellen. Ich surfe ein wenig im Internet und beginne, meine Eindrücke in diesem Artikel einzufangen.
Auf dem Weg zum Flughafen, stelle ich fest, dass ich schon alle Zahlen identifizieren kann, und auch die Verwendung des Schlauchs in der Toilette ist mir geläufig. Dass die Tücher auf den Köpfen der Frauen etwa Ungewöhnliches sind, muss ich mir schon eigens klarmachen. Die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Gehirns ist schon erstaunlich. Ich stelle fest, ich mag den Iran, oder wenigstens Teheran und die dort lebenden Leute und würde mich über eine erneute Gelegenheit, hier ein Training zu geben, richtig freuen.
Ich bin dankbar für diese wertvolle Erfahrung, die mich gelehrt hat, dass mein Trainingsansatz, wohl auf der ganzen Welt zum Einsatz kommen kann. Dass es eine gemeinsame Plattform für alle Menschen gibt, auf deren Basis sie sich treffen und von einander lernen können.
Salaam – Friede.