Spiel und Suggestopädie
Welche Rolle können Spiele in einem suggestopädisch orientieren Training spielen? Dieser Artikel möchte darauf eine Antwort aus der Sicht von 15 Jahren Praxis in der Erwachsenenbildung geben. Spiele helfen mir ganz wesentlich dabei, Grundsätze und Einsichten, die ich für meine Trainings entwickelt habe, zu transportieren. Ich nehme fünf der wichtigsten – durchaus auch suggestopädischen – Einsichten, als Leitfaden durch diesen Artikel.
1. Als Suggestopäde trage ich der Tatsache Rechnung, dass der Mensch von Natur aus ein soziales Wesen ist, seiner evolutionären Entwicklung nach ein Rudel-„Tier“, also weder Einzelgänger noch Herdentier.
Wir sind untrennbar mit unserer Umwelt verbunden indem wir Einfluss nehmen und indem wir beeinflusst werden. Ein wesentlicher Bestandteil unserer Umwelt sind andere Menschen. Wir sind ihnen verbunden, nicht zuletzt, weil wir ihnen ähnlich sind, wie ein Blatt dem anderen. Blätter sind – unverkennbar in der Struktur – und es ist klar, dass alle vom selben Baum stammen. Unterschiede werden erst bei genauerer Betrachtung deutlich. Und: jedes Blatt ist ein eigenes, eigenständiges Blatt, individuell. Wir Menschen sind in dieser Hinsicht ähnlich. Sogar mehr unterschiedlich als gleich.
Unser Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit wird u.a. durch unsere Gemeinsamkeiten befriedigt und unser Bedürfnis nach Neuem kann gefüttert werden durch unsere Unterschiede, und zwar dann, wenn wir einander keine Bedrohung darstellen. Dann fühlen wir uns wohl und entwickeln eine Persönlichkeit, die mit unserem Umfeld verträglich ist. Deshalb sind meine Trainings unabhängig vom Thema immer auch eine Teamentwicklung, wo Menschen einander ein Stück Vertrauen entgegenbringen, einander besser verstehen lernen und auf einander zugehen und sei es auch nur für die Dauer dieses Trainings.
Spielen versetzt die Teilnehmer (TN) aus den Regeln ihres Alltages in andere, neue Regeln. Dadurch entsteht Raum für eine Neubeurteilung der eigenen Person, sowie eine Neubewertung der TN untereinander. Der Blick, das Bewusstsein für die anderen TN wird erweitert und das Vorurteil, dass wir alle innerhalb von Sekunden und Minuten größtenteils unbewusst über jeden fällen, dem wir begegnen, kann ergänzt und ggf. revidiert werden. Dafür verwende ich ein Spiel, mit dem ich nahezu jedes Training, beginne:
„Gleich und Gleich…“:
Die TN gehen durch den Raum und sortieren sich auf Kommando nach Kriterien, die ich vorgebe, z.B.: Augenfarbe, Raucher-Nichtraucher, Eule-Lärche (Frühaufsteher vs. Langschläfer), Geburts-/Arbeits-/Wohnort, Arbeit, Sternzeichen/Elemente: Luft: – Wassermann, Zwilling, Waage; Feuer – Widder, Löwe, Schütze; Erde – Stier, Jungfrau, Steinbock; Wasser – Fische, Krebs, Skorpion. Gut sind auch: Lerntyp: Wie – Was – Warum-Lerner; Welche Art Training wird gewünscht: Schule, Robinson-Club, Abenteuerspielplatz, Arena (für Selbsterfahrung)
Bei diesem Spiel nutze ich die Gelegenheit, einige ungeschriebene Regeln zu erläutern. Bei Augenfarbe z.B., dass Individualität in meinen Trainings großgeschrieben wird, oder bei Raucher-Nichtraucher, dass in allem Verhalten auch Vorteile stecken und diesen Vorteilen mein Hauptaugenmerk gilt.
Bei diesem Spiel nutze ich die Gelegenheit, einige ungeschriebene Regeln zu erläutern. Bei Augenfarbe z.B., dass Individualität in meinen Trainings großgeschrieben wird, oder bei Raucher-Nichtraucher, dass in allem Verhal-ten auch Vorteile stecken und diesen Vorteilen mein Hauptaugenmerk gilt.
Die TN erfahren so, wonach sie sich richten können, dass allem Ungewohnten, das ihnen in meinen Trainings begegnet, ein positives Menschenbild zugrunde liegt. Diese Erfahrung schafft Sicherheit und bildet so Vertrauen und stärkt die Identität. Uns Suggestopäden ist eine vertrauensvolle Atmosphäre wichtig und Spiele sind gerade dazu auf besondere Weise geeignet.
2. Für mich als Suggestopäde gilt, dass der Perspektivwechsel eine wesentlich effizientere Methode als das Einüben von Verhaltensänderungen ist und ich ziehe sie daher letzterem vor.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mein Verhalten sehr stark davon abhängt, wie ich die Dinge sehe. Eine veränderte Sicht der Dinge macht eine Verhaltensänderung leicht, weil ein Sinn sichtbar wird. Wenn ich meine Perspektive erweitere, erhalte ich auch mehr Verhaltensoptionen. Wenn Ihnen z.B. klar wird, dass lauthalses Brüllen: „Schlag die Tür nicht so zu!“ zwar Ihre augenblickliche Gefühlslage widerspiegelt, aber vielleicht nicht die optimale Methode ist, jemanden Rücksichtnahme zu vermitteln, dann denken Sie sich in Zukunft vielleicht eine andere Methode dafür aus oder verfolgen beide Ziele – Gefühlsausdruck und Erziehungsabsicht – mit getrenntem Verhalten. Deshalb konzentriere ich mich in meinen Trainings auf die Erweiterung der Perspektive, des Bewusstseins, meiner TN. Der Suggestsopäde sorgt dafür, dass der TN möglichst reichhaltige, perspektiv-erweiternde Erfahrungen in seinen Trainings macht. Dafür setze ich z.B. das „Australische Schwebholz“ ein:
Das australische Schwebholz
Je acht bis zwölf TN stehen sich in zwei Reihen gegenüber und bilden so eine Gasse. Auf ihre ausgestreckten Zeigefinger lege ich eine 2 Meter lange, leichte Holzstange (oder einen Zollstock, oder zwei eng gerollte, ineinander gesteckte Flipchartbögen), die sie auf den Boden senken sollen. Kein TN darf den Kontakt zum Holz verlieren.
Das Verblüffende an diesem Spiel ist, dass die Stange zunächst wider Erwarten in die Höhe wandert, durch das Bestreben der TN, den Kontakt zur Stange zu halten. Erst die Einsicht, dass Konzentration, und das sich aufeinander Einstellen als Voraussetzung für die gemeinsame, synchronisierte Aktion einkehren muss, hilft der Gruppe, die Aufgabe zu meistern und stärkt so die Identität der einzelnen TN in seinen sozialen Aspekten.
3. Als Suggestopäde weiß ich, dass der Mensch ein über Hormone realisiertes biologisches Beloh-nungssystem auch für geistige Aktivitäten hat.
Wenn uns etwas gelingt, wenn wir das Gefühl haben, etwas geleistet oder eine neue Einsicht gewonnen haben, dann stellt sich in uns ein Wohlgefühl ein. Dieses Wohlgefühl wird von einem Hormoncocktail ausgelöst und steigert unser Einverstanden sein mit uns selbst, wir identifizieren uns mit unseren positiven Aspekten. Wir haben so ein „Ja“ für uns, was unser „Ja“ für die anderen erleichtert. Deshalb ist es mir wichtig, in den Trainings für eine gute, heitere und konstruktive Atmosphäre zu sorgen. Ein Spiel, bei dem ich den Leistungseffekt mit sozialem Lernen kombiniere ist die „Flussüberquerung“.
„Flussüberquerung“
Die Ufer eines Flusses werden durch Leinen markiert. Für jeden TN einen großen Schritt Breite, also 8 Schritte breit für 8 TN. Jeder TN erhält eine ca. DIN A4-große Pappe. Der Fluss darf nicht berührt werden, d.h. der Fluss muss auf den Pappkartons gehend überquert werden. Tritt oder fällt ein TN auf/in den Fluss, so beginnt die gesamte Gruppe von vorn (also auch die, die schon am anderen Ufer sind!). Die Pappen müssen stets Körperkontakt mit irgendeinem TN haben, also Fuß, Hand, Finger etc., sonst müssen sie abgegeben werden. Diese verlorenen Pappen bleiben auch für spätere Versuche aus dem Spiel. Nach dem Spiel werden die Erfolgsfaktoren ermittelt: „Welches Verhalten hat zum Erfolg geführt?“, und auf einem Flipchart gesammelt.
Um den Erfolg der Gruppe zu garantieren, greife ich je nach Frustrationstoleranz mehr oder weniger stark mit Coachingfragen („Was funktioniert?“, „Worauf kommt es an?“, „Was lässt sich aus den Fehlern/Ereignissen lernen?“) ins Geschehen ein. Die TN sind meist ziemlich begeistert von der Bewältigung der ungewohnten Aufgabe. Und bei Rückfragen am Ende des Trainingstages, werden oft Einsichten aus diesem Spiel als Highlight genannt.
4. Für mich als Suggestopäden ist Kreativität für die Selbstverwirklichung des Menschen unabdingbar.
Jeder Mensch birgt in sich ein wahres geistiges Universum. Viel von dem, ist jedoch nur Potenzial. Kreativität ist sozusagen die Geburtshelferin für dieses Potenzial. Sie macht aus dem reinen Potenzial das Mögliche/Machbare und dient so der Vorbereitung dafür, das Mögliche in die Tat umzusetzen. Deshalb ist mein Training mit Methoden angefüllt, die dazu beitragen, Denkbarrieren, wie Gewohnheit, Vorurteile und Ängste, abzubauen. Hier eignen sich Nonsens-Spiele hervorragend, insbesondere das „Blinde Fangen“:
Blindes Fangen
Die Gruppe teilt sich in Zweiergruppen. Ein TN steht hinter dem anderen, die Hände auf den Schultern oder besser an den Hüften und lenkt. Der/die Vordermann/-frau läuft mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen auf dem abgegrenzten Spielfeld umher. Eine Zweiermannschaft fängt, alle anderen Mannschaften versuchen zu entkommen. Wird eine Mannschaft vom blinden Fänger berührt, wird diese zur neuen Fängermannschaft, usw.
Dieses Spiel ist in nahezu jeder Gruppe einsetzbar, obwohl es recht wild werden kann. Das innere Kind wird losgelassen, „wohlige Hysterie“ entsteht, Gewohnheiten und Ängste werden außer Kraft gesetzt; eine wunderbare Voraussetzung für nachfolgende kreative Prozesse, wo neue Wege für alte Probleme gefunden werden können.
5. Eine zentrale suggestopädische Überzeugung ist, dass Körper und Geist eine unauflösbare Einheit bilden.
Ich beobachte eine Tendenz der Menschheitsentwicklung, dass wir unser Leben zunehmend auf der geistigen Ebene verbringen. Viele der Erfindungen, die wir ganz selbstverständlich benutzen, von der elektrischen Zahnbürste bis zum ICE, der mit 300 km/h durch die Gegend saust, sind dazu gemacht worden, um seinen Nutzern Zeit zu sparen. Wozu? Damit mehr Leben in unsere 24 Stunden passt. Damit wir mehr erleben können. Dieses Erleben bezieht sich aber nicht nur auf unser Gesamtsystem, also Körper und Geist, sondern zunehmend auf unseren bewussten Geist. Mit Büchern, Fernsehen, Kino, aber auch mit Telefon, Computer, Internet findet das Erleben weitgehend ohne Körper statt.
Diese Entwicklung ist meines Erachtens für Menschen universal und nicht aufzuhalten. Ich habe gegen diese Entwicklung nichts einzuwenden, denn auf geistiger Ebene ist für uns Menschen viel mehr Erleben und Erfahrung möglich ohne Gefahr für Leib und Leben.
Aber wir haben einen Körper und der mischt bei unserem geistigen Erleben kräftig mit. Unser Geist spiegelt die körperlichen Reaktionen als Gefühle wider. Und ohne Gefühle wäre das geistige Universum, das sich in uns unübersehbar ausbreitet, blass und farblos. Unser Gefühl für Echtheit und Wirklichkeit ist eben genau das: ein Gefühl. Für meine suggestopädische Arbeit bedeutet das, dass wir in einer Übergangszeit leben, wo der Körper seinen angemessenen Platz in unserer zunehmend geistigen Alltagswelt braucht.
Deshalb muss mein Training spürbar, erlebbar, eben suggestopädisch sein, wenn ich der ganzen Natur meiner TN Rechnung tragen will. Eines der vielen Spiele, mit dem ich Körper und Geist zusammenbringe, ist das „Finger-fangen“:
Fingerfangen
Die TN stehen im Kreis, die linke Handfläche nach oben gekehrt. Der rechte Zeigefinger berührt von oben mit der Spitze die offene Hand des rechten Nachbarn. Auf Kommando „Bei drei: Eins…, zwei…, drei!“ versuchen alle den Zeigefinger des linken Nachbarn zu fangen und gleichzeitig mit dem eigenen Zeigefinger zu entkommen. Nach 2, 3 Versuchen, wechseln sie die Hände, d.h. die Rechte ist flach, die Linke der Zeigefinger.
Es ist ein Spiel, dass ich gerade dann einsetze, wenn es sehr formell und distanziert, ja sogar auch dann, wenn es feindselig zugeht. Der Einsatz dieses Spiels hat im Grunde nur da Grenzen, wo ich mich selbst als Trainer nicht traue, wo ich den Mut nicht finde, meiner eigenen Angst ins Auge zu sehen. Wenn die TN „Spiele“ unangemessen finden, dann benenne ich das Spiel „Fingerfangen“ als Übung zur Integration der beiden Gehirnhälften, was es – nebenbei gesagt – ja auch ist. Dabei erläutere ich in wenigen Sätzen, wie das Hirn aufgebaut ist (links logisch, rational, etc., rechts bildhaft, assoziativ, etc.), damit der Verstand der TN eine Erklärung hat und damit einen Sinn findet und die Teilnahme an der Aktivität akzeptiert.
Die Lacher setzen ein gerade, wenn das Spiel nicht klappt. Das ist für mich der zentrale, beabsichtigte Effekt. Die TN blamieren sich, lachen darüber, brauchen nicht mehr so sehr Haltung bewahren und können sich in der Folge im Training entspannter benehmen. „Ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert“ weiß das Sprichwort. Das heißt das Vertrauen der einzelnen TN in die Gruppe steigt. Mal von der heilsamen Wirkung des Lachens selbst ganz abgesehen.
Suggestopädie beschränkt sich nicht darauf, bunte Seminare und Trainings zu gestalten. Suggestopädie ist identitätsbildend. Meine Aufgabe in meinen Trainings sehe ich vor allem auch darin, es dem TN zu ermöglichen, durch Erfolge seinen Platz in der Gemeinschaft zu finden und seine Identität vor allem in seinen positiven Charaktereigenschaften zu finden, ohne die negativen aus den Augen zu verlieren, denn auch diese sind Teil unserer Identität. Wenn wir dazu einen Beitrag leisten können, sind wir wahre Suggestopäden.
Erich Ziegler
(Dieser Artikel ist abgewandelt auch in Trainineren mit Herz und Verstand, GABAL, Offenbach, 2006 zusammen mit vielen weiteren suggestopädischen Beiträgen zu finden)
Lieber Erich,
Danke für den pointierten und tippgebenden Artikel. Ich schreibe eine Rezension zu „Touch it!“ von Sandra Masemann und Barbara Messer und recherchiere daher etwas im Bereich Suggestopädie.
Dem spezifisch suggestopädischen komme ich immer mehr auf die Schliche.
Lieben Gruß
Michael
p.s.:
Luftgitarre spiele ich auch, habe ein Duesenberg-Air-Modell von ’77