Tansen, 3. Trainingstrag
Heute der dritte Tag mit den Teilnehmern. Wir spielen uns zunehmend aufeinander ein. Tolle Teilnehmer, die tun, worum man sie bittet. Wir baten sie, ihr Arbeitstempo in den Arbeitsgruppen zu beschleunigen um verlorene Zeit aufzuholen und siehe da, sie waren alle fünf Minuten vor der Zeit wieder im Plenum. Das ist mir in Deutschland noch nie so gegangen. Da verhallen solche Bitten wirkungslos.
Das Engagement und das Vertrauen in uns ist wirklich beeindruckend. Das hält sie aber nicht davon ab, zu denken und sich ihren eigenen Reim auf das zu machen, was wir ihnen vorstellen.
Die Räumlichkeiten sind übrigens einfach. Der Boden ist ein ungestrichener Estrich, auf den sich die Teilnehmer sich ohne weiteres setzen, wenn es gilt, etwas zu schreiben oder zu zeichnen. Ich habe den Boden dann zum nächsten Tag gründlich kehren lassen. Und gestern habe ich mit dem Besitzer, der mich stolz mit ein paar Brocken Deutsch ansprach und unendlich freundlich war, vereinbart, dass wir ein paar Sitzkissen für solche Gelegenheiten bekommen. Die waren dann prompt heute zur Hand und der Boden war auch noch mal gewischt worden. Außerdem haben wir einen Kaffee auf Kosten des Hauses angeboten bekommen.
Es ist unbestreitbar schmeichelhaft, so behandelt zu werden. In Deutschland müsste man sehr viel Geld hinblättern, um so zuvorkommend bedient zu werden.
Heute kam auch Binod zurück, der unser „Road Manager“ ist und alles um uns herum organisiert. Es dauerte eine Weile, bis ich seine Rolle innerhalb dieses Trainingsprojektes einschätzen konnte.
Heute ist Krishnas Geburtstag. Schon gestern waren die Vorbereitungen zu beobachten, wie in den Tempeln die bunten Lampen eingeschraubt und die Tische mit Blumengestecken und Räucherwerk bestückt wurden. Morgen ist Festivaltag zu Ehren einer Göttin, deren Namen ich mir nicht merken konnte. Wird wohl viel los sein.
Heute haben mich die Teilnehmer gefragt, ob ich sie zum Tanzen und zum Gucken begleiten will. Da war ich natürlich sofort dabei. Es fing allerdings langsam an, ich musste erst mal eine Stunde warten, bis alle da waren. Zuvor war ich mit Binod in einem Restaurant essen und wir sprachen, d.h. er sprach über mein Lieblingsthema: seine Lebensgeschichte.
Die ist, wie die meisten Lebensgeschichten natürlich auch, sehr interessant und jetzt habe ich auch keine Schwierigkeiten mehr, seine Rolle als Bindeglied zum Auftraggeber – das „Include“-Programm der GTZ – einzuschätzen, denn ich kenne seine persönliche Motivation. Er ist sehr ehrgeizig und hofft, über solche NGO (non-governmental Organisations)-Projekte das nötige Know-How und die nötigen Kontakte zu bekommen, um selbst eine Organisation aufbauen zu können. Vielleicht wird er unser Bus-Experte in Nepal. bus (Bauern Unternehmer Schulung) ist das modulare Unternehmerschulungsprogramm der Akademie, die hier im Konsortium mit der GTZ, bzw. deren ausführende Partner tätig ist, das hier in kondensierter Form Anwendung findet.
Dann liefen wir endlich durch die Stadt, in entsprechend dem Anlass viel los war. Zuerst bei einem Tempel an einer Straßenecke, an der um die 200 Leute Schlange standen, um ihr Opfer darbringen zu können. Unglaublich, dass sich ein Jeep durch diese dichte Menge drängelte und auch noch durch kam. Schon das Motorrad, das sich einige Minuten zuvor durchquetschte, verleitete mich schon zu innerlichem Kopfschütteln. Solche Rücksichtslosigkeiten gibt es bei uns nun doch nicht. Doch hier werden sie hingenommen. Der Verkehr läuft hier echt anders als bei uns! Und links sowieso.
Nahebei spielte eine Gruppe Musik, so dass hier schon die erste Gelegenheit zum tanzen war. Es war aber so voll, dass wir nach einem kurzen Besuch beschlossen, unser Glück bei einem anderen Tempel zu versuchen. Dort angekommen schauten wir eine Weile den Halbwüchsigen zu, wie sie zu einem einfachen Trommelrhythmus auf und ab hüpften, dabei laut und rhythmisch „Hola, hola“ rufend. Hat mich stark an meine wilden Punkzeiten erinnert, wo wir ebenfalls ausgelassen Pogo tanzten. Da war auch kein richtiges Tanzen, weil die Trommel immer wieder abbrach.
In einem Nebengebäude saßen etwa 50 Männer, die auf Newar, einer der vielen Sprachen in Nepal, religiöse Texte sangen. Ich war mit einem Mal von der Hingabe der Männer und der Musik so berührt, dass ich meine Tränen nicht zurückhalten konnte. Noch jetzt überkommt mich die Rührung, wenn ich daran denke. In mir steckt offenbar auch eine tiefe Sehnsucht nach Hingabe und … ja und was? Es ist schwer zu erkennen, wenn ich in mich hineinschaue. Was sehe ich in den singenden Männern? So etwas wie Aufgehobenheit, Zuversicht, nein Geborgenheit. Interessant, ich werde da mal weiter forschen.
Wir sind dann noch mal zurück zum ersten Tempel mit der langen Schlange der Gläubigen mit der Musikgruppe, deren Sound durch einen quäkenden Lautsprecher unterstützt wurde. Dort bildeten wir einen Kreis. Wir waren ja zu zehnt und unser jüngster Springinsfeld fing unbefangen an sich geschmeidig zu bewegen. Bald kam ein zweiter dazu und natürlich konnte auch ich mich nicht lange halten und fing ebenfalls an, zu den einfachen, schönen Melodien und dem Rhythmus der Trommeln zu bewegen. Das erregte natürlich Aufsehen, wie man sich denken kann. Mich stört das ja nicht mehr und ich hatte meinen Spaß mit den Teilnehmern, die Lied um Lied immer ausgelassener tanzten, bis zum Schluss auch die Zurückhaltenden einließen und ein wenig die Hüften schwangen.
Bald kamen auch Außenstehende in den Kreis, um mitzutanzen, bis schließlich sogar einige Mädchen begannen, zu tanzen. Das rief natürlich noch mehr junge Männer auf den Plan, deren Hang zum Balzen die Energie auf sich zog. Da wurde es dann Zeit für uns zu gehen, zumal wir auch das Taxi zu halb elf bestellt hatten. Mein Hemd war jedenfalls klatschnass, wie immer, wenn ich tanze. Zum richtig austoben war die Musik dann weder laut noch wild genug. Jedenfalls fühle ich mich jetzt, danach, ausgesprochen kräftig und gesund, wach und fit.
Der Abend tat mir sehr gut. Ich komme mir im Moment (und immer häufiger) vor wie Harry Potter, als er den Glückssaft getrunken hatte. Es kann einfach nichts schief gehen.
Gute Nacht (Es ist so schade, dass ich hier so schlecht ins Internet komme und ihr so lange auf Nachricht warten müsst).