31.10.09, 12.00 Uhr, Flughafen Narayangar, Chitwan, Nepal/1.11.09 Kailali
Vor einer Stunde sollte der Flieger gehen, der uns über Kathmandu nach Kailali bringt. Jetzt sitze ich in der Flughafenhalle, darf netterweise die Steckdose der Fluggesellschaft (Buddha Air) benutzen und vertreibe mir die Zeit damit, euch einige Zeilen zu schreiben. Der Flughafen Kathmandu ist gesperrt, weil irgendwelche wichtigen Leute dort starten oder landen wollen. Gestern, als wir auf den Präsidenten der Wirtschaftskammer für die Abschlussveranstaltung warteten, meinte einer unserer Trainees: „Wenn wir eine halbe Stunde warten müssen, dann ist die Person wichtig, wenn wir eine Stunde warten müssen, dann ist die Person sehr wichtig, müssen wir zwei Stunden warten, dann ist eminent wichtig. Wollen wir hoffen, dass nur wichtige Leute kommen.“
Gestern Abend waren sie sehr wichtig. Wenn sie den ganzen Flugverkehr sperren, fürchte ich, dass es sich um eminent wichtige Leute handelt.
Den Blog von gestern konnte ich heute Morgen nur mit Mühe und Not absetzen, d.h. ich musste den Text an meinen Webmeister senden, weil ich selbst nicht ins System kam. Ich hatte auch keine Zeit, Fotos hochzuladen. Ich bin mal zuversichtlich, dass es irgendwie gehen wird. Ist ja sowieso die bessere Arbeitshypothese.
Als ich übrigens heute Morgen durch die Hauptstraße von Narayangar ging – es ist Samstag, also freier Tag – war sie zur Abwechslung mal sauber. Ist wohl Reinemachtag, der Samstag. Überall wurden die Gehsteige und auch die Straße gefegt und überall gab es kleine Kehrichthaufen. Erinnert mich an meine Kindheit in Thüngersheim, wo wir jeden Samstag unseren Teil der Straße gekehrt haben. Nach der allgegenwärtigen Nachlässigkeit und dem Müll war das etwas, das meiner deutschen Seele gefiel.
Ein kleiner Nachtrag zum Freitag. Da gab es mal wieder eines der vielen religiösen Feste. Da wird dann doppelt so viel geläutet. Der Tempel nebenan wird festlich geschmückt. Am Straßenrand sitzen arme Leute, die von den Tempelbesuchern immer wieder eine Handvoll Reis geschenkt bekommen. Und am anderen Ufer wurde gerade eine Leiche verbrannt. Das Faszinierende an diesem Foto ist in den Flammen zu finden. Schaut mal genau hin. Könnt ihr was entdecken? Ich schon.
1.11.09, 11.30 Uhr, Dangadhi, Kailali, Nepal
Das Willkommen war dieses Mal wieder sehr herzlich, wir wurden am Flughafen sogar mit Blumen empfangen. Birendra, der hiesige CCI-Angestellte und bus-Trainee ist sowohl kompetent als auch ziemlich gut organisiert. Auch er dachte sofort daran, wie wichtig Kaffee für mein morgendliches Wohlbefinden ist. Er hat den Teilnehmern hier eine Teilnahmegebühr von 100 Rupien (1 EUR) abverlangt, was dem Ganzen gleich ein wenig mehr
Ernsthaftigkeit gibt. Dafür wurden sie mit einem Frühstück (nepalesische Kartoffelsuppe mit nepalesischen Krapfen) bedacht, das auch mir sehr gut schmeckte.
Das Gästehaus der CCI ist noch im Bau befindlich, deshalb wir fuhren zum Park Inn Hotel, das außerhalb etwa 2 Kilometer vom Veranstaltungsort entfernt liegt. Dass es da ruhiger ist, hat nur zur Konsequenz, dass die Geräusche um so deutlicher zu hören sind. Die Landschaft ist flach, alle Wege sind mit Hütten gesäumt, dahinter die Reisfelder wie Flickenteppiche.
Heute Morgen um 5.30 Uhr war für mich die Nacht vorbei, weil erst jemand seine Klimaanlage einschaltete, die gut hörbar rauschte. Und als ich mich gerade daran gewöhnt hatte und schon beinahe wieder eingeschlafen war, sprang mit Getöse die Wasserpumpe an und das Wasser plätscherte direkt unter meinem Fenster in den Wasserspeicher und die Vögelein zwitscherten und die Menschelein lachten und die Hundelein bellten. Allerliebst, dieses Konzert. Der Unterschied zu den Hauptverkehrsstraßen: hier am Stadtrand, kann ich die Störquellen einzeln identifizieren. Ab halb sechs. Heute Nacht wird es wohl nicht spät werden
Die Frustration geht weiter: kein Internet, gar nicht nett. Auch nicht in den Cyber Shops an der Hauptstr. Der nächste liegt einen Kilometer vom CCI, wo die Trainings stattfinden. Unbequem. Ich muss wohl loslassen. Nicht so leicht. Ich hoffe, mein Netzmeister konnte den letzten Blog ins Netz stellen, ich bin von einem fremden Computer gestern Morgen nicht auf die entsprechende Seite gekommen. Ich bin froh, dass sich wenigstens mein Computer wieder gefangen hat, der hat zwischendurch auch ganz schön gesponnen. Jetzt läuft er wieder.
Immer, wenn wir nicht laufen wollen, nehmen wir uns eine Rikscha für 10 Rupien (10 Cent) und lassen uns hin und her kutschieren. Die Sitzbank ist dabei meist recht schmal für zwei ausgewachsene europäische Hintern. Die meisten Menschen sind ein bis zwei Köpfe kleiner als wir. Anton ist ja nochmal 5 cm größer als ich und damit schon ein halber Riese.
Das Training läuft so ohne mich, dass ich mir recht überflüssig vorkomme. Wenn ich zum Fenster raus sehe, kann ich einen Bauern Reisbüschel ausschlagen sehen. Menschliche Arbeit ist hier so wenig wert. Wie soll das in Zukunft werden? Da auch Nepal und die Nepalesen an unserem westlichen Wirtschaftssystem teilhaben wollen, werden sie die Automatisierung und Rationalisierung mit importieren. Das bedeutet, dass menschliche Arbeit nicht nur immer weniger bringt, sie wird zunehmend überflüssig, wie das hierzulande schon millionenfach der Fall ist (von den überflüssigen Arbeitsstellen in allen großen deutschen Organisationen mal ganz zu schweigen), obwohl das kein Politiker hier zugibt. Ob Bildung tatsächlich die Lösung bringt? Wir im Westen können uns Bewusstseinsentwicklung ohne höhere Bildung kaum vorstellen, aber ob das auch für Nepali gilt? Ich weiß es nicht. Das bus-Konzept ist ja sowieso nur etwas für privilegierte Leute in diesem Land. Ob die ihren armen Brüdern davon abgeben werden, ist fraglich, denn die Gemeinschaftsorientierung der nepalesischen Gesellschaft, die hier noch vorherrscht, wird ja von uns Individualismus-Predigern ja mitzerstört. Nun, wie fraglich der gesellschaftliche Nutzen unserer Aktivität auch sein mag, für die Individuen in unseren Trainings und in den Trainings unserer Trainees ist die Denke, die dem bus-Konzept zugrunde liegt auf alle Fälle ein Gewinn.
Der Tag heute lief nach der obenerwähnten Frustration relativ ohne mich ab. Am Abend sind wir dann in eine Demonstration der Maoisten, der Opposition der Minderheitsregierung (die Maoisten haben zwar die Wahl gewonnen, haben aber die Regierungsgeschäfte abgegeben, weil sie es wohl nicht konnten) geraten. Einige hundert Demonstranten, die mit brennenden Fahrradreifen einen Fackelzug durch die Hauptstraße gemacht haben, zogen skandierend an uns vorbei. Später sind wir beim Stoffhändler eingefallen und haben uns, für Hosen und ich zusätzlich für einen Geschäftsanzug mit Stoffen eingedeckt. Ich bin gespannt. Übermorgen Abend soll alles fertig sein, denn am Mittwoch früh werden wir nach Kathmandu zurückfliegen, um dort das bus2-Training für IEDI-Trainer zu geben. 9300 Rupien, also unter 100 EUR kostet ein Anzug und eine extra Hose, genäht aus italienischen Stoffen. Ich bin gespannt.
Namasté für heute.